Dienstag, 27. September 2011

Tim und Struppi: Tim im Lande der Sowjets [Rezension]


Zu den Helden meiner Kindheit gehört, wie ich gestern schon schrieb, zweifellos Tim, seines Zeichens Reporter, ständig begleitet von einem weißen Foxterrier namens Struppi. Seine Abenteuer waren willkommene Ablenkung, Inspiration für eigene Geschichten und sie haben mir über so manche Kinderkrankheit hinweg geholfen.


Der Mann, der den gewieften Reporter erfunden hat, war der Belgier Georges Prosper Remi. Eigentlich hatte er selbst den Wunschtraum, Reporter zu werden. Als er in den 1920er Jahren als Hilfskraft bei der belgischen Tageszeitung Le XXe Siècle (Das 20. Jahrhundert) zu arbeiten begann, sah er sich möglicherweise schon auf dem Weg dorthin. Doch sein Talent lag an anderer Stelle, das wurde seinen Vorgesetzten schnell klar: im Zeichnen und im Erfinden von Geschichten. Sein Herausgeber, der katholische geistliche Norbert Wallez, hielt ihn dazu an, für die wöchentliche Jugendbeilage Le petit Vingtième (Das kleine Zwanzigste) eine Fortsetzungsgeschichte zu entwerfen. So trat der Reporter Tintin – Deutsch: Tim – am 10. Januar 1929 zum ersten Mal ans Licht der Öffentlichkeit, in dem Abenteuer “Im Lande der Sowjets”.

Die Handlung: Da tut sich gleich zu Beginn ein Manko der Geschichte auf: “Im Lande der Sowjets” ist Titel und Handlung zugleich. Remi, der sich für seine gezeichneten Geschichten das Pseudonym Hergé (lautmalerische Niederschrift seiner umgedrehten Initialien R.G.) zugelegt hatte, betrat gleich in mehrfacher Hinsicht Neuland. Zum einen waren “Comics” im eigentlichen Sinn in Europa noch nicht so bekannt, zum anderen hatte er zuvor nur kurze Episoden und Geschichten gezeichnet. Der Band beschreibt die Reise Tims in die Sowjetunion der 1920er/1930er Jahre als Aneinanderreihung von Szenen, mal grotesk, mal slapstickhaft und – und das hatte Hergé später selbst zugegeben – äußerst tendenziös. Als Quelle für das Leben im kommunistischen Russland diente ihm nur ein Werk, Moscou sans Voiles (Moskau ohne Schleier), mit dem die Vorurteile des Westens gegen den Osten zementiert wurden. Dass der Herausgeber Norbert Wallez zum rechtskonservativen Lager gehörte und Tims Reise in die Sowjetunion vorgeschlagen hatte, tat sein Übriges dazu. Hergé selbst war von Amerika fasziniert und hätte seinen Reporter lieber dorthin geschickt.

Kritik: Eigentlich kann man das Album nicht wirklich kritisieren, wenn man es als das sieht, was es ist: ein Stück dokumentierte Zeitgeschichte und ein Stück des Lernens für Hergé. Insofern ist es auch nur eingefleischten Fans zum Lesen zu empfehlen, die sich über die Ursprünge von Tim informieren wollen. Das Album wurde – im Gegensatz zu den anderen – nie koloriert und nie überarbeitet. Hergé selbst bezeichnete es später als “Jugendsünde” und war erst unter dem Druck der Öffentlichkeit bereit, das Album 1973 neu zu veröffentlichen. Mit den weiteren Geschichten hatte er gelernt, nicht nur was den Zeichenstil betrifft, sondern auch im Bezug auf die Recherche zu seinen Geschichten. Neben der Tatsache, dass die Handlung keinen roten Faden aufweist, ist die Abhängigkeit von einem einzigen Buch, das Michael Farr in “Auf den Spuren von Tim und Struppi” als “geradezu absurd tendenziös” bezeichnet, die größte Schwäche. Auch was den Realismus betrifft, muss man in diesem Band mehr als einmal ein bis zwei Augen zudrücken. Tim überlebt es beispielsweise, im Eis eingefroren zu werden; an anderer Stelle ist er gezwungen, aus einem Baumstamm einen Propeller für ein Flugzeug zu schnitzen (beziehungsweise deren zwei, denn der erste Propeller hat den falschen Anstellwinkel, so dass sich sein Flugzeug rückwärts bewegt).
Fazit: Ein historisch gesehen interessantes Werk, das einen gewissen Einblick in die Denkweise Mitteleuropas in den 1920er Jahren über die Sowjetunion gibt und anhand dessen man Hergés Entwicklung verfolgen kann. Wer aber die bekannten Abenteuer schätzt, sollte sich eher an eines der anderen Bände halten, von denen hier noch berichtet werden soll.

Ein Wort zur Übersetzung: Als man die Geschichten ins Deutsche übertrug, musste man natürlich ein paar Anpassungen vornehmen. "Tintin" als Name hätte für Deutsche sehr ungewöhnlich geklungen, also kam man auf das prägnantere "Tim". Und hier liegt eine kleine Crux: "Tintin" ist ein Nachname, "Tim" eher ein Vorname. Interessanterweise erfahren wir von Tim in allen Geschichten keinen weiteren Namen. Der Name von Tims Hund lautete im Original "Milou", was der Name einer Jugendliebe des Zeichners Remi war. Somit wird also quasi nahe gelegt, dass Struppi eine Hundedame ist, der deutsche Name aber eher männlichen Hunden gegeben wird.
Der Titel der Comicreihe war am Anfang "Tim, der pfiffige Reporter", bevor er zu "Tim und Struppi" geändert wurde. Für den neuen Film ist das ein Glücksfall, sonst müsste man ihn "Die Abenteuer von Tim, dem pfiffigen Reporter: Das Geheimnis der Einhorn" nennen. Das klingt ein wenig altbacken.
Auf die Übersetzung der anderen Namen werde ich kommen, wenn die Figuren das erste Mal in der Reihe auftauchen.

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